Schwieriger Hund = gestresster Hund?
März 2018 – Dr. Aliki Busse; CreaCanis Trainerin
Während der Ausbildung zur Trainerin für schwierige Hunde bei Thomas Baumann stellte ich immer wieder fest, dass der überwiegende Anteil der sogenannten schwierigen Hunde aufgrund eines schlecht funktionierenden Stresssystems einfach nur überfordert ist.
Hört man sich dann den Tagesablauf an, wundert es meist, dass die Hunde überhaupt noch einigermaßen „normal“ sind.
Ein erwachsener Hund braucht zwischen 16 und 20 Stunden Schlaf am Tag. Welpen noch 2-3 Stunden mehr.
SCHLAF – nicht nur Abliegen auf dem Hundekissen. Ein Ruheplatz, der ggf. im Zentrum des häuslichen Geschehens steht, an dem ständig jemand vorbei geht oder der vielleicht sogar einen guten Blick auf die Straße, den Garten voller Vögel und anderer Tiere oder die Kinder des Hauses hat.
Solange ein Hund immer wieder durch äußere Einflüsse gestört wird, kann er nicht ruhen, nicht regenerieren. Das Ergebnis sind dauergestresste, hibbelige Hunde, mit einer Impulskontrolle gen 0. – Hunde, wie auch Menschen und andere Säugetiere – regenerieren während des Schlafens nicht nur, vielmehr werden Reize verarbeitet, Informationen „aussortiert“, gelöscht, andere in Erfahrungs- und Lernfolgen gespeichert.
Darüber hinaus ist nur der Schlaf die Quelle der Impulskontrolle.
Hunde, die in der Welpenzeit bereits genügend Ruhephasen erhalten haben – z.B. in einer Box, einem Kennel oder in einem separaten Raum – haben in ihrer späteren Entwicklung deutlich mehr Lebensqualität.
Leider versuchen wir in die ach so wichtigen ersten 16 Wochen beim kleinen Welpen alles reinzupacken, da offensichtlich nach der 16. Woche das Lernfenster zugeht…:
Fremde Menschen, andere Hunde, Zoobesuche, Tram-, U-Bahn-, Fahrstuhl-, Autofahren und Verkehr, geschlossenen Räume, Krach, Kinder, und und und…. Was so manche Hundebesitzer alles in 7 Wochen unter bekommen raubt den Atem. Parallel hierzu natürlich mindestens 1 x in der Woche Welpenschule, in der wieder mit anderen Welpen getobt werden darf bis der Arzt kommt.
Später kommen dann Agility, Flyball, Spielstunde, etc. dazu. Manche unserer Hunde haben einen volleren Terminkalender als Manager… was das für die „geretteten“ Hunde bedeutet, die einen deutlich ruhigeren Lebensstil pflegten, ist kaum zu beschreiben, aber leider häufig sichtbar.
Dabei setzten wir Menschen uns selbst viel zu stark unter Druck: der Hund muss schließlich ausgelastet und beschäftigt werden. Wer nämlich all das nicht leistet ist ein schlechter Hundebesitzer, der den Hund nicht fördert.
Aus dieser Spirale gilt es auszubrechen! Natürlich sollen die Hunde ausgelastet werden – allerdings weniger über Bewegung, sondern mehr über den Kopf. Suchspiele, Trickdog, Degility oder ähnliches, entschleunigt die Hunde und regt die Kreativität der Menschen an.
Hunde lernen dabei sich zu konzentrieren und werden ruhiger, da der Innenfocus (= Aufmerksamkeit des Hundes auf Teamführer und die zu lösende Aufgabe) aktiviert wird.
Nur zur Klarstellung. Dies ist kein Pamphlet gegen Hundesportarten und innerartlichen, hündischen Kontakt mit viel Geschwindigkeit, Körperlichkeit und Aktion. Es geht darum eine gute Balance zu finden. Bewegungsspiele findet jeder Hund toll, das muss er nicht lernen. Was er lernen muss ist Ruhe zu geben – zu entspannen, und dies übt man am besten bereits im Welpenalter, wo es festgelegte Ruhephasen gibt, die entweder in einer Box oder einem ruhigen Raum eingehalten werden. – Genauso wie Kinder im Kindergarten zum Mittagsschlaf.
Hunde daher, die gelernt haben abzuschalten, denen der Hundehalter genügend Gelegenheiten gibt zu ruhen und den Speicherwieder aufzufüllen, können und sollen toben und sich auch körperlich entsprechend auspowern. ABER: Es sollte immer daran gedacht werden, dass weniger mehr ist und dass für einen Hund, der nicht zur Ruhe kommen kann, jede mit viel Bewegung verbundene Aktivität Gift ist.
Hunde, die mangels Ruhephasen nicht von klein auf gelernt haben sich zu entspannen, haben leider KEIN Hundeleben, sondern das Leben eines dauergestressten Workaholics.
Die gute Nachricht: Auch erwachsene Hunde können noch Ruhe lernen!
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